Odette Vetter « nach en Räge schiint z’Sunne »

1975 nimmt Odette Vetter zum zweiten Mal am Murtenlauf teil. Wie im Vorjahr tut sie das illegal, denn die Teilnahme der Frauen an diesem Lauf war nicht erlaubt. Verfolgt von den Fernsehkameras, war die Walliserin eine der illegalen Läuferinnen die dazu beigetragen haben, dass die Teilnahme der Frauen zwei Jahre später möglich wurde.

Wir befinden uns im Jahr 1975; der ganze Murtenlauf besteht aus Männern. Der Ganze? Nein!

Eine Handvoll unbelehrbarer Frauen widersteht weiterhin den Organisatoren. Darunter ein gewisser Joseph (oder eher Odette, mit dem richtigen Vornamen) Vetter. „Die Teilnahme der Frauen war verboten, daher konnte ich mich nicht unter meinem richtigen Namen anmelden. Mein damaliger Ehemann holte vor Ort meine Startnummer ab und übergab sie mir“, erinnert sie sich. Es war nicht Odette’s erste Teilnahme, aber es war ohne Zweifel die Beeindruckendste.

Eine Premiere im Jahr 1974

Anlässlich einer früheren Austragung des Laufes den sie als Zuschauerin am Ende der Steigung von La Sonnaz verfolgte, sagte sie sich plötzlich: „Aber das kann ich doch auch“. Ohne zu zögern und trotz dem formellen Verbot für Frauen, eine Strecke von 17 Kilometern zurückzulegen, stellt sich die Walliserin im Jahr 1974 an den Start. In Murten ist sie gezwungen, sich in geheimer Manier an den Start zu begeben, verkleidet und ohne sich vorher angemeldet zu haben. „Es war sehr heiss an diesem Tag und ich trug eine lange Trainerhose und ein viel zu grosses T-Shirt. Die Haare waren unter einer Schirmmütze versteckt“, erinnert sich die Lehrerin. Unter der glühend heissen Sonne legte sie die Strecke zurück, wagte es aber nicht die Ziellinie zu überqueren.

Die Auseinandersetzung von 1975

Diese Erfahrung hatte einen bitteren Nachgeschmack für die Walliserin, die sich deswegen dazu entschied es im folgenden Jahr wieder zu versuchen. Diesmal aber mit einer Anmeldung unter einem falschen (Männer) Namen. Nachdem ihr Mann ihre Startnummer abgeholt hatte wurden sie vom OK Präsidenten, der sie vom Start abhalten wollte, zur Rede gestellt. Dieser Zwischenfall wurde von den Fernsehkameras der TSR festgehalten und machte am Abend in der ganzen Schweiz die Runde.

Trotz dieses Zwischenfalls begaben sich Odette und ihr Mann an den Start. „Ich war ein wenig beunruhigt, habe aber nach dem Startschuss alles vergessen können“ erklärt sie lächelnd. Im Läuferfeld und entlang der Strecke herrschte eine festliche Stimmung. „Alle Läufer.innen kennen sich, da wir im Laufe des Jahres oft an den gleichen Anlässen teilnehmen“, erklärt sie.  „Ich erinnere mich an die Steigung von La Sonnaz, dort war eine riesige Menschenmenge und darunter eine stattliche Delegation von Wallisern die mich im Rhythmus meiner Schrittfrequenz mit „Hopp Odette“ Rufen anfeuerten“. Als ich die Ziellinie überquerte,  machten sich wieder einige Befürchtungen bemerkbar, aber es verlief alles problemlos. Die Fernsehbilder zeigten viele Läufer die mir zu meinem Lauf gratulierten.

1977 : die Erlösung

Nach diesem Ereignis wurde der Wechsel eingeleitet. Warum sollten die Frauen, die vier Jahre zuvor  das eidgenössische Stimmrecht erhalten haben, nicht das Recht haben die Laufschuhe für den Murtenlauf zu schnüren? 1977 wurde der Lauf von den Organisatoren auch für Frauen ausgeschrieben.  “Was für eine Freude, vor allem weil die Frauen als erste starten durften“ erzählt die Walliserin. Ein Riesenerfolg denn es waren nicht weniger als 130 Frauen am Start. Die Befürchtungen und der Zorn haben von nun an der Freude am Laufen Platz gemacht.

Der Stolz im Jahr 2021

Auch heute ist Odette immer noch ins Laufen vernarrt. „Ich spule immer noch meine 70 Kilometer pro Woche ab. Ich liebe das, es ist eine echte Leidenschaft“, stellt sie fest. In Chippis ist sie sogar die Einzige die auch laufen geht wenn es schneit oder regnet.

Was den Murtenlauf betrifft, sieht sie die Strecke heute mit etwas anderen Augen. „Im Alter von zwanzig Jahren schien mir die Strecke flach, heute aber habe ich den Eindruck dass es nur bergauf geht“ lacht sie. Sie bleibt dem Anlass aber weiterhin treu. Die einzigen Ausfälle hatte sie nur in der Zeit der Geburt ihrer drei Kinder.

Mit einem Lächeln beschliesst sie unser Gespräch: „Ich bin schon ein wenig stolz, denn es ist dank uns, dass die Frauen im Jahr 2021 teilnehmen können“. Das ist wahrhaftig so.

Für Odette

Beeindruckend in ihrer Einfachheit, hegt Odette Vetter keinen Groll gegen den Murtenlauf (im Gegenteil: bevor sie auf meine Fragen antwortet will sie wissen ob der Lauf dieses Jahr stattfindet?)

Mit diesen Zeilen möchte ich Odette’s Verdienste würdigen. Die eigentliche Revolution des Murtenlaufes waren nicht die Aenderungen der Strecke oder die Verlegung der Start- oder Zielorte, sondern vor allem die Frage um den Platz den die Frauen an dieser Veranstaltung einnehmen. Odette Vetter und eine Handvoll ihrer Freundinnen sind die wahren Robespierre des Murtenlaufes. Die phrygische Mütze hat dem weissen T-Shirt mit der Aufschrift „Warum nicht für Frauen?“, Platz gemacht und eine der zahlreichen Mariannen am Lauf hiess Odette. Odette wollte einfach laufen, in der Steigung von La Sonnaz die schmerzenden Beine spüren und am Ziel die Menschenmenge bei der Linde erleben. Ohne den Mut dieser Walliserin, aus dem kleinen Dorf Chippis und ihren anderen Mitstreiterinnen hätte man vielleicht noch einige Jahre länger warten müssen bis die Frauen zugelassen wurden.

Der Murtenlauf ist seither offen für jedermann, was weitläufig dazu beigetragen hat, dass der Laufsport populärer wurde.

Die Geschichte von Odette Vetter und den anderen heimlichen Läuferinnen gehört zur Geschichte des Murtenlaufes. Aus diesem Grunde möchten wir Odette Vetter für ihre Vorreiterrolle einen lebenslangen Gratisstart am Murtenlauf schenken.

Möchten sie mehr über das Leben von Odette Vetter wissen? Anlässlich ihrer Einladung im Podcast Tea Room, der im Januar im “Nouveau Monde” aufgezeichnet wurde, erzählt die Wallliserin aus ihrem Leben spricht dabei auch über ihre Erfahrung am Murtenlauf.

Anlässlich des internationalen Tages der Frauenrechte berichten wir über die Geschichte einer der Frauen die am Murtenlauf Geschichte machte. Durch  ihren Mut haben Odette Vetter und einige andere “illegale” Läuferinnen es den Frauen erlaubt den Murtenlauf zu bestreiten.